#166, Pressekonferenz zur Bundesliga 2021-2 – ZAT 6
Speedy Gonzales, Colonia
Der erste Goldene Reiter, äh, Tabellenführer wurde mit Stuttgart in Colonia gestürzt, ein 1:0 reichte dazu aus. Nun wendet sich der Gastgeber seinem nächsten Gegner zu, den Kiezkickern, dem neuen Tabellenführer ….
Periodista: “Wir begrüßen die Anwesenden zur heutigen Wiegekonferenz! Die Ermittlung der über die Landesgrenzen hinaus begehrten Antwort auf die Frage, wem die Waage heute gewogen ist – Señor Gonzales oder Señor Torsuchti – soll heute im Mittelpunkt stehen.“
Interessierte Weltpresse und zugelassene Schaulustige quittieren den bevorstehenden Auftritt der beiden Kontrahenten mit tosendem Applaus – auf der einen Seite Entrenador und amtierender Inhaber des Thrones von Deutschland, Speedy Gonzales, und auf der anderen Seite, im Schatten des großen gelben Sombreros, Entrenador Torsuchti, seineszeichens erster Herausforderer und Anwärter auf diesen Thron.
Periodista (fährt in seiner Ansprache fort, zeigt sich schon beeindruckt vom bisherigen Geschehen): “Anlässlich des 6. ZATs und 17. Spieltags, an dem Club Deportivo Ratones de Colonia und die Kiezkicker aus Hamburg im großen Duell aufeinandertreffen, führen wir am heutigen Vorabend das obligatorische Wiegen der beiden Entrenadores durch und beschäftigen uns im Detail mit der Frage, wer in der Lage ist mehr in die Waagschale zu werfen….“
Aufgeregtes Raunen schwappt durch das ausverkaufte Rund der Arena in Colonia.
Periodista (mit ernsthafter Mine): „Zunächst der Herausforderer, der Suchende, der Süchtige, der Torfetischist aus Hamburg …. (erhebt seine Stimme) Begrüßen wir El Señor Tooooooooor- (und senkt sie wieder in die Tiefe) -suchtiiiiiiii!“
Das Publikum jubiliert, teils höflich, teils mit leiser Begeisterung. Kiezfahnen werden vereinzelt geschwenkt, Flamingo-Strings fliegen Torsuchti entgegen. Umgeben von einer künstlich entfachten Nebelwand, betritt der Herausforderer die Bühne und steigt auf die für ihn vorgesehene Waagschale. Sie senkt sich nach unten, logischerweise.
Periodista (in mit vollster Ehrfurcht angefülltem Tonfall): “Werte Señores y Señoritas. Und jetzt, begrüßen Sie mit Meinerunbedeutsamkeit den amtierenden Meister, den Sieger der Game of Thrones Germany 2021-1, den Stern unter den Sternchen, den Gastgeber des heutigen Abends und des morgigen Ligaspektakels auf‘m Platz, den Dichter und Denker, Lenker und Innovator, den Unterhalter und Wissenschaftler, Profiler und Rekordhalter, den einzigarten (hebt seine Stimme spannungsgeladen) Speeeeeeedy (setzt noch einmal an, damit ihm nicht die Puste zum Höhepunkt ausgeht, reisst das Publikum mit, stimmlich ekstatisch zitternd) SPEEEEEEEEEEEEEEEDYYYYYY (treibt es jetzt auf die Spitze, die Laola-Welle wird wie ein Stier durch die Arena getrieben) SPEEEEEEEEEEEEEEEEDYYYYYYYYYYYYYY (und senkt seine Stimme wieder in die Tiefe, ganz ganz tief, und noch tiefer) GONNNNNNZAAAAAAAAAAAAAAAALESSSSSSSSSS!!!!“
Das geneigte Publikum flippt völlig aus, außer Rand und Band präsentiert es sich, alle Fahnen werden geschwenkt, sowohl die Blau-Gelben mit Karnevalsdom und Mäuseschwanz sowie die mit den Kiezkickertürmchen. Absperrungen werden gestürmt, aber Gonzales verhindert schlimmeres. Er schnellt auf die Bühne, durchbricht in Lasereile die Schall-, nee, die Nebelmauer, nee, die Nebelwand und setzt zum Sprung an auf die für ihn vorbereitete Waagschale. Für das in Heiterkeit ausbrechende Publikum hingegen ist nur eines wahrhaftig zu erkennen: der überdimensionierte gelbe Sombrero, wie er sich mit bloßem Auge in nicht wahrnehmbarer Geschwindigkeit dicht über dem Fußboden der Arena bewegt, wie er zum Sprung ansetzt und Untertassen gleich auf die Waagschale fliegt. Und sie senkt sich, die Schale, um im Mikrobereich gemessene stolze 2 µ. Als der Sombrero erneut zum Flug ansetzt, vom Träger mit einer geschickten Handbewegung Richtung Publikum geschleudert, nimmt Gonzales, nun für alle sichtbar, die Triumphator-Pose ein, die Waage bewegt sich wieder zurück in die Ausgangsposition, Gonzales also hoch, und Torsuchti runter, um 2 µ. Das neutrale und Mäuse gewogene Publikum jubelt dennoch dem kleinen Mäuserich zu, als wäre er der Größte, der Schnellste, der Klügste ever. Im Hintergrund ertönen Fanfaren, Feuerwerk erleuchtet die Arena, grimmigen Blickes taxieren sich die Kontrahenten unter dem aufkeimenden Raunen der Zuschauermasse, als schließlich der Lichtkegel über den Waagschalen langsam erlischt.
Und wer ist nun der Sieger des großen Wiegens? Wer ist in der Lage mit Blick auf den 17. Spieltag mehr in die Waagschale zu werfen? Das neutrale Publikum rätselt ….Die Gäste aus Hamburg taumeln im Siegeswahn ….
Plötzlich ist ein Knarren, ein Biegen, ein Brechen aus Richtung der Waage zu hören. Nein, Guestoon ist nicht in der Nähe, El Periodista vergewissert sich gerade. Geistesgegenwärtig schaltet der Lichtmeister seine Scheinwerfer wieder ein, immer noch auf die beiden Waagschalen gerichtet. Die Waage bewegt sich, die ausgelassene Stimmung in Teilen des Publikums weicht, es hat Angst. No, Señores y Señoritas, damit konnte sich Gonzales nicht zufrieden geben, und so besinnt er sich auf sein wahres Ego, geht kurz in sich, und dann.... dann.... dann.... nimmt er all seinen Mut zusammen, seinen Waagemut, all seine taktische Raffinesse, seine Frechheit, sein Geschick, seine Klugheit, all seine Schönheit und Schnelligkeit, und packt all dies zusammen in die Waagschale.
Blitzartig, wie von einer Rakete getrieben, oder äh, besser als wie in Raketentriebwerken gezündet, schnellt der bis dato schwerer wiegende Torsuchti in die Höhe, nichtsahnend, nicht einmal den spontan gewonnenen Ausblick über die Arena genießend, so schnell schnellt er bis rauf an die Beleuchtung des Flutlichtmastes. Dort ein dumpfes Geräusch – angekommen. Der Anschlag tönt durch das weite Rund bis zu den wenigen siegestaumelnden Gästen aus Hamburg, Erschrecken legt sich über ihre Partystimmung. Mit Ehrfurcht blicken sie auf Gonzales, der gelassen in seiner Waagschale verharrt, als sei nichts Außergewöhnliches geschehen. Unschuldigen Blickes, verträumt, schon an das morgige Spiel und seine zu wählende Taktik denkend blinzelt Gonzales süffisant in die Ferne, weit über die Scheitel der Zuschauer hinweg.
Und Torsuchti? Erstmalig auf gefühlte Augenhöhe mit Gonzales gehoben, kämpft er nun gegen die Schwerkraft an. Wieder einmal ein Kampf, dem er nicht gewachsen ist, und so purzelt er, halb erhobenen Hauptes, halb sich senkenden Hauptes, bis sich letzteres in den Boden rammt, tief neben der Waagschale.
Die Zuschauer vernehmen diesen letzten Akt des Großen Wiegens regungslos, wortlos, und mit Blick auf die Begegnung der Kiezkicker mit Gonzales‘ Mannen wird ihnen mulmig zumute. Ehrfürchtig noch einmal aufblickend zu Gonzales, senken sie ihre Köpfe, packen ihre Flamingo-Strings wieder ein, wenden sich ab und schleichen wie geprügelte Hunde Richtung Ausgang, zumindest die Gäste aus Hamburg. Dieser Abend, der so vielversprechend begann, ist für sie richtig in die Hose gegangen.
Man wird es noch Tage später riechen.
Und die eingefleischten Fans der Ratones de Colonia? Haben damit gerechnet, setzen die Vorabendparty fort und warten geduldig das Spektakel ab. Damit geht das Große Wiegen eindeutig an Gonzales. El Periodista schenkt sich an dieser Stelle die Abmoderation, denn diesem eindeutigen Ergebnis gibt es nichts mehr hinzuzufügen ….
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